Oktober 2015

Zweimal Weltklasse

Meine Schweizer Freunde machen häufig eine „Monday Bouteille“ und starten damit in die Woche. Bei mir kommt in der Regel am Montag und an den folgenden Tagen Wasser ins Glas. Dafür genehmigen wir uns ab und an einen frühen Nachmittag im Berens am Kai, der dank schöner Weine, prächtiger Stimmung und großartiger Küche häufig noch in den Abend übergeht.

Die klassische, unverkennbare Molitor-Nase zeigte die 2004 Bernkasteler Lay Spätlese trocken von Molitor. Ein furztrockener, schlanker, sehr eleganter Wein mit feiner Mineralität, noch so frisch, der im Glas immer mehr zulegte und einen enormen Druck am Gaumen entwickelte – WT92.

Zweimal Weltklasse kam danach ins Glas, zwei Weine, auf die ich sehr gespannt war. Der 2013 Chardonnay Unique von Donatsch hatte mich schon im Frühjahr bei einer Probe sehr beeindruckt. Aber ein Probeschluck in einem kühlen Keller ersetzt nicht eine ausführliche Verkostung. Was wir jetzt hier ins Glas bekamen war ein Weltklasse-Chardonnay in bester Burgunderart. Schlank mit präziser Struktur, das Holz gut eingebunden und kaum spürbar, superbe, wohl definierte Frucht, intensive Mineralität, gute, subtile Säure, so hoch elegant, so finessig. Klar war da auch enorme Kraft und gewaltiger Druck am Gaumen, aber diese Kraft wirkte, wie auch beim Felix quasi „schwerelos“. Blind hätten Holger und ich diesen Wein sicher ins Burgund gesteckt – WT97+. Mit diesem 2013er, der sicher noch zulegen kann, hat Martin Donatsch sein Meisterstück geliefert. Ich bin gespannt, wie das in den nächsten Jahren weitergeht. Nur auf der VDP-Versteigerung in Bad Kreuznach gab es 2012 Morstein Spätburgunder Felix von Keller, von dem ich mir dort ein paar wenige Flaschen sichern konnte. Das war Burgund vom Feinsten, superbe, filigran-elegante Nase mit so unglaublich feiner Frucht – einfach nur riechen, riechen und riechen – am Gaumen enorme Kraft, das Holz noch deutlich spürbar. Baute immer mehr im Glas aus, so elegant, so finessig. Auch hier wieder diese „schwerelose Kraft“. Ging dann irgendwann wieder im Glas zu, die Tannine stärker im Vordergrund, nur um etwas später noch offener voll durchzustarten. Veränderte sich laufend, dieser so vielschichtige Wein und zeigte immer neue Facetten – WT97+. In den Lagen Frauenberg und Bürgel hat Klaus Peter Keller in den letzten Jahren bereits große Spätburgunder erzeugt. Jetzt hier im Morstein mit diesen 70 Jahre alten Reben legt er noch mal deutlich zu.

Zweimal Weltklasse, zweimal Burgund vom Feinsten, wie es Burgund nicht besser kann. Grosse Weine, die mindestens so rar sind, wie die rarsten Burgunder. Unendliche Eleganz ist bei beiden das Stichwort. Gibt es "schwerelose Kraft"? Ja, bei beiden. Schlichtweg atemberaubend und mit Langstreckenpotential. Was für ein Erlebnis, diese beiden Weine über Stunden im Glas verfolgen und immer wieder nach verkosten zu können.

Ein einfach runder, sehr gut zu trinkender Pinot war danach aus Kalifornien der 2010 Pinot Noir de Villiers Vineyard Mount Harlan von Calera. In der Nase Veilchen, am kraftbetonten Gaumen feiner Schmelz und eine enorme Trinkigkeit – WT94. Blutjung dagegen mit immer noch deutlichen, etwas bissigen, leicht grünen Tanninen und hoher Säure der 1995 Clos Vougeot von Jadot, der zumindest eine herrliche Frucht zeigte – WT92+. Ich glaube, dass da noch mer kommt. Meine zweite Flasche lege ich noch mal für 5 weitere Jahre weg.

Und dann war da noch dieser 2002 Spätburgunder Barrique von Schäfer-Fröhlich. Ich wusste bisher nicht, dass auf diesem Weingut überhaupt Spätburgunder erzeugt wurde. Doch was da ganz am Anfang unserer kleinen Verkostung aus der Flasche kam, war kräftig, animalisch und ziemlich daneben. Statt Trinklust stellte sich bei uns Widerwillen ein. Also aus den Gläsern zurück in die Karaffe und auf ein Wunderhoffen. Wegschütten konnten wir ihn ja immer noch. 5 (!) Stunden später goss sich der gute Holger ein Glas ein und meinte, das musst Du probieren. Gut, aus dieser Wuchtbrumme mit für Pinot völlig unnötigen 14,5% Alkohol war jetzt kein Filigranartist geworden. Aber das war jetzt ein sehr gut trinkbarer, kräftiger, dichter Wein mit dunkler Frucht, der plötzlich eine erstaunliche Frische zeigte, gute Säure, viel aromatischen Druck und eine beachtliche Länge – WT92. Nicht auszudenken, wenn Tim Fröhlich den Spätburgunder mal spontan vergären würde mit 12,5-13% Alkohol und sich von der Finesse her sein spektakuläres Felseneck als Vorbild nähme.

Erstaunlich lebendig mit dichter Farbe und ziemlich altersfrei war die 1964 Vina Real Gran Reserva von CVNE aus der halben Flasche – WT90.

Und dann kam als Abschluss noch ein richtiger Knaller ins Glas. Ric Forman ist so etwas wie die Vergangenheit und die Zukunft von Napa in einer Person. Für ihn stehen stets Eleganz, Frische und Struktur im Vordergrund. So wie in Kalifornien vor den 90ern große Bordeaux mit kalifornischer Frucht entstanden. Den Trend zur Überreife, zu den dicken 100 Punkte Geschossen machte er nie mit. Und genau da, in der Vergangenheit, dürfte auch wieder die Zukunft von Kalifornien liegen. Der 2009 Cabernet Sauvignon von Forman zeigte zwar saftige, kalifornische Frucht und war mit gut 14,5% Alkohol am oberen Limit dessen, was ich von diesem Winzer gewohnt bin, zeigte aber gleichzeitig eine bemerkenswerte Frische und Eleganz. Im jetzigen Stadium ist da noch viel Babyspeck, aber da wächst mal ein Klassiker heran – WT95. Dürfte langlebig sein und hat noch Luft nach oben.

Nach der Probe ist vor der Probe

Zu Alper Alpaslans großartiger Clos du Mesnil Probe hatten wir uns ein langer Tafel im Berens am Kai getroffen. Zu den vier Flights gab es jeweils vier sehr spannende Amuse Bouches aus der Küche des Düsseldorfer Herdzauberers. Nur wird man davon nicht satt. Also war nach der Champagnerprobe noch ein herrliches Menü angesagt, das von den unterschiedlichsten Weinen der Probenteilnehmer begleitet wurde.

Los ging es mit viermal Krug. Die Grande Cuvée basierend auf Grundweinen von 2005 wirkte aus der Magnum viel zu jung und fast aggressiv. Deutlich zugänglicher der 2003 Krug, der etwas kräftiger als der Clos du Mesnil des Jahrgangs war, aber nicht dessen Finesse besaß – WT93. Füllig, rund, intensiv und sehr lang der immer noch jung wirkende 2000 Krug – WT95. Weich, reif, aber auch mit Druck, Kraft und Fülle aus der Magnum der 1998 Krug – WT94.

Und dann mogelte sich der gute Toni gleich mit einem restsüßen Wein dazwischen. Verständlich, wollte er doch nicht, dass diese Perle aus seinem Geburtsjahr irgendwann am Ende der Probe unterging. Das war schon großes Kino, diese 1979 Wehlener Sonnenuhr Auslese Goldkapsel von JJ Prüm. Die wirkte noch so frisch, so stimmig und perfekt balanciert mit sehr guter Säure und nur verhaltener Süße, blieb ewig am Gaumen – WT95. Wie das geht aus einem nicht gerade umwerfenden Mosel-Jahr wie 1979? In der Jugend sind es immer die fetten Teile mit den hohen Öchslegraden, die die hohen Punkte abräumen. Das mag angehen, wenn genügend balancierende, kräftige Säure dazu kommt. Doch bei einer gereiften Auslese ist es eben die Stimmigkeit und die Balance, die die Größe ausmacht. Diese Weine wirken dann fast harmonisch trocken und sind so wie dieser hier jede Suche wert.

Damit waren wir in der trockenen Abteilung. Ein richtig großer, weißer Burgunder, sehr würzig, mineralisch mit feinem, nussigem Schmelz, komplex und lang mit einfach traumhafter Trinkigkeit war mal wieder dieser 2009 Meursault Charmes Hospice de Beaune Cuvée Bahezre de Lanlay ausgebaut von Lucien Le Moine aus der Magnum- WT96. Auf sicher gleichem Niveau, aber noch so blutjung mit toller, präziser Frucht und genialer Struktur das eigentlich noch nach ein paar Jahren Lagerung schreiende 2009 Morstein GG von Keller – WT95+. Erstaunlich reif, aber mit Eleganz, Kraft und Substanz aus der Magnum das 2008 Brunnenhäuschen GG von Wittmann – WT93.

Der gebratene Schinkenspeck im Lakritzmantel war nicht etwa eine Kreation von Holger Berens. Das war der 1998 Ermitage l´Ermite von Chapoutier aus der Magnum. Ein Bolide, der bei aller Kraft eine enorme Frische zeigte – WT96. Weiter ging es mit einem großen Rosenbeet auf einer frisch geteerten Straße in Form des großartigen 2000 Barolo Sarmassa von Voerzio. Wie schön, dass dieser Riese mit seiner explosiven Aromatik von seinem edlen Spender ebenfalls in der Magnum gebracht wurde – WT97. Frischer Flieder im Herbst? Alles möglich mit diesem betörenden 2004 El Pison von Artadi, dessen florale Nase in der Tat an frischen Flieder erinnert. Dazu kommen reichlich süße Beerenfrucht, Minzfrische, Würze und seidige, weiche Tannine – WT96. Und schon kam mit der Magnum 2008 Lodovico von der Tenuta di Biserno der nächste Kraftbolzen ins Glas mit reichlich dunkler Frucht und viel Holz vor der Hütte. Dürfte mit den Jahren noch zulegen – WT94+.

Klassiker waren jetzt angesagt. Der große Finessenmeister ist und bleibt dieser hoch elegante, so feinduftige 1985 Margaux mit seiner betörenden, rotbeerigen Frucht, der Mineralität und dem perfekten Spagat aus Kraft und Eleganz. Schließlich steckt ja in diesem Samthandschuh eine Eisenfaust – WT96. Nicht in der bestechenden Form, wie ich ihn sonst kenne, war leider der etwas schwächelnde 1983 Latour. Dafür überraschte mich der 1975 Latour umso mehr. Dieser so lange richtiggehend biestige, sperrige, tanninbetonte Wein bot sich hier plötzlich fast als Schmusebär an. So weich, fast cremig in der Struktur, erstaunlich offen mit der klassischen Latour-Walnussaromatik und einer gehörigen Portion Kraft. Wenn der so weitermacht, wird er tatsächlich eines Tages noch groß – WT94. Keine Zweifel habe ich daran, dass der 1988 Latour mal groß wird. Nur braucht dieses kräftige, druckvolle, blutjunge Tier von Wein als moderne Version des 28ers halt noch lange Jahre. Aber das Warten wird lohnen – WT94+.

Und wenn eigentlich nichts mehr geht, geht Yquem immer noch. Gleich drei dieser exquisitesten aller Desserts bekam ich nacheinander ins Glas. Jammern auf hohem Niveau beim großartigen 1988 d´Yquem, der leider einen leichten Fehlton hatte. Freude auf hohem Niveau beim 1975 d´Yquem, den ich schon häufiger im Glas haben durfte, und der von Mal zu Mal besser wird. Hier ist es vor allem die sehr gute Säure, die diesen Yquem richtiggehend vibrieren lässt und zu einem absolut stimmigen Ganzen macht. Das waren hier locker WT97+. Ich würde mich nicht wundern, wenn dieser Yquem in einigen Jahren mal durch Perfektion glänzt. Überraschung auf hohem Niveau beim eigentlich total zugenagelten 2001 d´Yquem, dem vielleicht besten, jungen Süßwein, den ich je im Glas hatte. 2006 waren das mehrfach klare WT100. Jetzt und hier zeigte er sich erstaunlich offen mit betörendem, süßem Schmelz. Des Rätsels Lösung war eine seit einer Woche offene Magnum, in der nur noch ein knappes Drittel drin war. Das kriegt in der Form auch mit Turbo-Dekantieren nicht hin. Locker WT96+. Für die erneuten WT100 sollte man ihm noch 20 Jahre geben.