Grosse Weine aus kleinen Flaschen

Ein Klassiker ist „Grosse Weine aus kleinen Flaschen“ inzwischen. Ich bin ein großer Fan dieser halben Flaschen, die früher verschämt in Restaurants auf einer Seite für Autofahrer standen. Letztere sollten besser überhaupt nichts trinken. Für Weinfans bieten die kleinen Flaschen aber die große Chance, auch in kleinerer Runde einfach mehr verschiedene Weine probieren zu können. Die vierte Auflage meiner Spezialprobe mit großen Weinen aus kleinen Flaschen fand diesmal im Berens am Kai statt. Auch diesmal zeigte die überragende Qualität der Weine, dass die Flaschengröße vernachlässigbar ist. Viel wichtiger und eigentlich für den Trinkgenuss entscheidend sind Herkunft und Lagerung.

Als Apero starteten wir mit einer 0,5l Flasche 1989 Bockenauer Felseneck Auslese von Schäfer-Fröhlich. Frische, fruchtige Nase mit Honignoten und Melone, am Gaumen harmonisch trocken wirkend mit schöner Fülle, Mineralität und immer noch guter Säure, dazu bescheidenen 9,5% Alkohol. Dürfte sich noch lange halten – WT92.

Der erste, rote Zwilling stammte aus Burgund. Eine kräftige, noch erstaunlich junge Farbe hatte der 1947 Clos Vougeot Chateau de la Tour von Morin. Ganz zu Anfang waren da in der Nase und am Gaumen spürbare Oxidation, doch mit etwas Luft verschwand das Oxidative völlig und machte einem immer noch erstaunlich kräftigen, vielschichtigen Wein mit schöner Süße Platz, der im Glas enorm aufdrehte – WT95. Schier unglaublich auch der 1928 Savigny les Beaunes von Morin, reife Farbe mit schönem, rotem Kern, deutliche Süße, Kaffeenoten, feiner Schmelz, bleibt mit guter Säure lang am Gaumen – WT94.

Das Dreamteam Barbara Beerweiler und der Durand

Das Dreamteam Barbara Beerweiler und der Durand

Ausnahmeweine entstanden früher bei CVNE im Rioja. Sehr eindrucksvoll zeigte das wieder der 1951 Vina Real Cosecha Especial von CVNE. Dieser große, altersfreie Wein stand mit dichter Farbe, mit Kraft, Jugend und gewaltiger Länge wie eine Eins im Glas und dürfte noch Zukunft ohne Ende haben – WT97. Ebenfalls ohne irgendwelche Runzeln der betörende 1943 Imperial Gran Reserva von CVNE, weich, reif, sehr elegant mit Schmelz ohne Ende und dunklem Toffee, eormer Druck am Gaumen und tolle Länge – WT97.

Sehr zuverlässig früher die französischen Barrière-Abfüllungen. Ein perfekt gereifter Charmeur, immer noch erstaunlich frisch, der 1953 Beychevelle Barrière, sehr elegant und fein mit erster Süße – WT94. Kräftig, bissig, zupackend, immer noch so jung der edel-rustikal wirkende 1961 Montrose Barrière, das war einfach klassischer Montrose pur, ein Wein, der noch deutlich zulegen kann und wird – WT91+.

Wie hatte ich der nächsten Flasche entgegen gefiebert. Würde diese halbe Flasche 1961 Petrus, vor langen Jahren in Belgien erstanden, echt sein? Schon die erste Nase zauberte ein breites Grinsen auf mein Gesicht. Ja, dieser legendäre, heute unbezahlbare Wein war echt. So süß, so vielschichtig, so intensiv, der Candystore für Auserwählte, einfach in dieser gewaltigen Aromatik der helle Wahnsinn – WT100. Wir hatten einfach unverschämtes Flaschenglück an diesem Abend. Selbst der kleinere 1953 Clos des Litanies aus Pomerol, den ich in der vom Füllstand her deutlich schlechteren Flasche nicht besonders gut in Erinnerung hatte, zeigte sich hier in bestechender Form, erstaunlich kräftig und dicht – WT95.

Leider waren das alles nur über Jahrzehnte gesammelte Einzelstücke, die wir hier ihrer endgültigen Bestimmung zuführten. Wie gerne hätte ich eine OHK von diesem perfekten Monument namens 1928 Latour, der sich so jung, so dicht, so kräftig und so ungeheuer druckvoll mit perfektem Rückrat präsentierte – WT100. Im direkten Vergleich war der 1928 Margaux sogar noch etwas kräftiger(!!!) mit mehr Tannin und Säure, auf extrem hohem Niveau vielleicht nicht ganz so stimmig – WT98.

Und mit absoluter Perfektion ging es weiter. Ein Weltklasseduell auf Augenhöhe war das, 1961 Latour gegen 1959 Latour. Beides sehr jung wirkende Konzentrate mit immer noch präsenten Tanninen, Latour, wie er besser nicht geht, der 1959 jahrgangstypisch mit etwas mehr Säure. Da gab es eigentlich keinen Favoriten. Ich habe nur staunend vor meinen Gläsern gesessen, und habe dieses einmalige Erlebnis auf mich einwirken lassen. Zweimal WT100, ohne Frage.

Die Fortsetzung dieses kaum wiederholbaren Klassikers folgte dann in einer moderneren Variante, die ich schon häufiger im Glas hatte. Diesmal schlug der wiederum perfekte 1970 Latour auf Wahnsinnsniveau den 1982 Latour, aber nur, weil letzterer wohl einen leichten Korkfehler hatte. Eigentlich sind beides (vom 70er gibt es leider auch schlechtere Flaschen) klare WT100 Weine.

Großes Kino auch der 1949 La Tour Haut Brion in einer R&U Abfüllung für die Schaffermahlzeit 1955. Das war Pessac pur, voll auf Augenhöhe mit La Mission und Haut Brion, sehr mineralisch, Teer, Cigarbox, altes Sattelleder, Holzkohle, Bitterschokolade, feine Süße am sehr kräftigen Gaumen und ewige Länge – WT98. Ich habe diesen Wein schon mehrfach mit WT100 bewertet. Mein Geiz an diesem Abend lag wohl an der überaus starken Konkurrenz. Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich der Gaumen an ein derat hohes Niveau gewöhnt und plötzlich als normal empfindet, was anderswo als Solist zu Standing Ovations führen würde. Traumstoff auch der 1959 Figeac mit trüffeliger, teeriger, ledriger Nase, am Gaumen sehr kräftig mit enormer Fülle und schöner Süße, baute enorm im Glas aus und hat sicher noch gute Zukunft – WT96.

Schlichtweg vergessen hatten wir zu Anfang bei aller Euphorie den 1943 Black Neck Brut von Devaux. Geht das überhaupt, 70 Jahre alter Champagner aus der Miniflasche? Es ging sogar sehr gut. Klar war das jetzt kein prickelndes Champagnerbaby mehr, aber ein trotz aller Reife immer noch sehr gut zu trinkender, erstaunlich komplexer, sogar schokoladig(!) wirkender Wein – WT91.

Seit wann gibt es denn Latour von Lindt? Der leicht exotische, üppige, füllige, explosive 1990 Latour zeigte Schokolade statt herber Tannine und war – was bei Latour eher selten ist – einfach sexy und ganz großes Kino – WT99. Der 1983 Hermitage la Chapelle von Jaboulet-Ainé konnte gut dagegen halten. Würzig, kräuterig mit viel Lakritz und guter Frucht, auch der mit dekadentem süßem Schmelz und mit burgundischer Pracht & Fülle – WT97. Immer noch ein geheimtipp und jede Suche wert ist dieser Wein, der sich würdig unter die großen La Chapelles einreiht.

Sehr jung immer noch die beiden letzten Roten unserer Probe. Comtesse pur mit saftiger, jugendlicher Frucht, mit schokoladigem Schmelz, aber auch mit immer noch sehr stabilem Tanningerüst die 1989 Pichon Comtesse – WT95. Da kam der noch deutlicher von kräftigen Tannine geprägte, immer noch etwas verschlossene und leicht herbe 1989 Cheval Blanc nicht mit, gab aber zumindest schon mal einen deutlichen Ausblick auf eine spannende Zukunft WT93+.

Als Abschluss kam dann noch ein spannender Vergleich von zwei Eisweinen. Der 1992 Kiedricher Gräfenberg Eiswein von Robert Weil zeigte eine glockenklare, brilliante Frucht und eine sehr knackige Säure, immer noch blutjung und mit enormer Präzision – WT97. Sehr viel reifer, rosiniger und deutlich von Boytritis geprägt der 1993 Kiedricher Gräfenberg Eiswein von Robert Weil – WT95.

Wer aufmerksam das erste Foto betrachtet, findet dort noch einen 1985 Grahams Vintage Port. Aber der schaffte es einfach nicht mehr in unsere Gläser. Nach soviel großartigen Weinen, praktisch ohne Ausfall, ging es uns einfach verdammt gut. Da war keine Zugabe mehr nötig.