Cellardevils 2016

Frisch von der Bordeaux-Primeurverkostung kam unser amerikanischer Freund und Weinprofi Jeff Leve (www.winecellarinsider.com) zur jährlichen Probe mit den Cellardevils nach Düsseldorf. Diesmal wurde unsere Runde durch einige meiner Schweizer Weinfreunde verstärkt. Einer davon, Baschi Schwander, hat unsere Probe auch ansprechend dokumentiert (Zu Besuch beim Altwein Miraculix).

Tatort war wieder das Berens am Kai, wo uns Holger Berens und sein Team meisterhaft mit einem großen Menü verwöhnten.

Als Apero starteten wir mit einer prächtigen „Limonade für Erwachsene“. Noch so jugendlich und frisch war die 1995 Eitelsbacher Karthäuserhofberg Auslese Goldkapsel Magnum mit weißen Früchten, feiner Schiefer-Mineralität und schönem Süße-/Säurespiel. Einfach die Leichtigkeit des Seins – WT94.

Im ersten Flight des Abends zwei gereifte, Weiße Bordeaux, von denen leider der 1989 Domaine de Chevalier Blanc korkig war. Dafür wusste der sehr kräftige 1988 Domaine de Chevalier Blanc zu überzeugen. In der Nase Rhum(!) und reife Bananen, am Gaumen ausladend und sehr lang mit noch deutlich spürbarem Holz, da kommt wohl noch mehr – WT90+. Die weißen Domaine de Chevaliers können sehr gut altern. Am besten trinkt man sie jung und packt die andere Hälfte der Kiste in die hinterste Ecke des Kellers.

Perfekt gereift im zweiten Flight der rote 1955 Domaine de Chevalier mit klassischer, intensiver Pessac Nase, Tabak, Cigarbox, Zedernholz, Leder und immer mehr rotbeeriger Frucht, sehr stimmig und elegant am Gaumen – WT94. Etwas älter wirkend die Nase des 1955 Haut Bailly mit viel Tabak und Dörrfrüchten, am Gaumen erst noch frisch mit guter Säure, baute mit der Zeit etwas ab – WT92.

Jede Suche wert sind alte, gut gelagerte Riojas. Sehr deutlich zeigte das wieder der 1928 Rioja Age von den Bodegas Unidas mit einfach genialer Nase und immer noch so junger Farbe, am Gaumen komplex mit enormem Tiefgang, einfach ein zeitloser, großer Wein – WT97. Etwas feiner, eleganter, aber auch zurückhaltender der 1939 Rioja Age von den Bodegas Unidas, der aber nicht den Druck des 28ers hatte – WT94. Etikettentrinker mögen die Nase rümpfen angesichts dessen, was da aus diesen Flaschen im Jutesäckchen kam. Man merkt das in solchen Proben immer, wenn nach dem Aufdecken bei einigen Leuten deutlich die Bewertungen sinken. Aber die Qualität reifer, älterer Weine hat weder zwangsläufig etwas mit großen Namen, noch mit hohen Preisen zu tun. Gerade das macht dieses Thema für mich so spannend.

Und dann kam der emotionale Höhepunkt dieser Probe. Jetzt war sie einfach mal fällig, diese Flasche 1900 Chateau Lafite Rothschild in einer deutschen Abfüllung für eine Firma Brandt & Co aus München (kennt die jemand?). Der Füllstand der noch originalverkorkten Flasche war für das Alter mit 'ms' in Ordnung, die Farbe mit schönem Granatrot sehr gesund. Lag seit langen Jahren unberührt in meinem Keller und stammte aus zuverlässiger Quelle.

Ich liebe reife, alte Weine, die von vergangenen Zeiten erzählen. Was haben sich die Menschen damals nicht alles vom neuen, 20. Jahrhundert erhofft. Sicher nicht die beiden schlimmen Weltkriege. Wie gerne würde ich in 100 Jahren mit einem 116 Jahre alten 2000 Lafite Rückschau auf die Jahrtausendwende halten.

Natürlich war ich etwas nervös und sehr gespannt, ob dieser 116 Jahre alte Lafite-Senior jetzt singen würde. Die immer noch voll intakte Farbe, die mich sehr hoffnungsvoll stimmte, täuschte mich nicht. Wunderbare Nase, leicht portig, trüffelig, Herbstlaub, viele Kräuter. Klar war das kein jugendlicher Liebhaber mehr. Dann wäre er gefälscht. Man muss die Aromen des Herbstes mögen. Am Gaumen feine, malzige Süße, stirbt nicht, sondern baut sogar aus. Ein Erlebnis, das über reine Punkte weit hinaus geht und sich tief in die Weintrinkerseele brennt. Also WT94 für die Buchhaltung, unendlich viel mehr für das Erlebnis.

Von der Papierform her hätte es im nächsten Flight zweier, ebenfalls fast 100jähriger Weinsenioren einen klaren Sieger gegeben. Aber es gewann der andere Wein, ein schier unglaublicher, unsterblicher Jahrhundert-Beychevelle. Dieser 1920 Beychevelle, der alles schlug, was ich von diesem Chateau je im Glas hatte, war so elegant, so ätherisch, so komplett mit großartiger Statur und Länge. Die gute, stützende Säure garantierte noch längeres Leben – WT98. Dicht, kräftig und breitschultrig der 1920 Margaux in einer Pillet Will Flasche für R&U mit Minze, Veilchen und sogar etwas Dill, wie man ihn von Silver Oak kennt. Druckvoll und lang am Gaumen, aber diese unglaubliche Beychevelle-Messlatte machte es für diesen sonst immer noch überzeugenden Wein verdammt schwer – WT95.

Ein La Lagune wie aus dem Bilderbuch kam danach ins Glas. Dieses Chateau ist nicht gerade für weiche Schmuseweine bekannt. So war auch dieses 90jährige Exemplar, der 1926 La Lagune ein kerniger, rustikaler Kraftprotz mit einer großen Leder-Manufaktur in der ausdrucksstarken, animalischen Nase, kaum Alter am druckvollen Gaumen. Nur die erste, feine Süße zeigte, dass sich dieser Wein der Reife nähert – WT95. Irre! La Lagune kann, darf und muss altern. Mit Kraft, Kraft und noch mal Kraft zeigte sich der 1926 Leoville las Cases, der eine enorme Substanz aufwies, aber auch etwas monolithisch wirkte – WT92.

Sehr schwierig der 1955 Chateauneuf-du-Pape La Gardine mit einer absolut ätzenden Klebstoffnase. Wenn man die rausblies und schnell ohne einzuatmen einen Schluck nahm, bekam man etwas von der burgundischen Eleganz und der feinen Süße am Gaumen mit. So hatte ich diesen Wein mit der letzten Flasche 2006 auf WT94-Niveau in Erinnerung. Aber diese Flasche hier war es nicht. Der La Gardine kriegt demnächst mit meiner dritten und letzten Flasche eine weitere Chance. Absolut großartig dagegen der 1955 Hermitage Mas des Bessards von Chapoutier, der sich noch so frisch, so stimmig und so balanciert zeigte mit guter, stützender Säure, betörender, rotbeeriger Frucht und feiner, generöser Süße – WT96.

Immer noch jung und kraftvoll mit enormer Substanz zeigte sich der sehr würzige 1970 Musar, bei dem ich das Gefühl hatte, dass er demnächst mal wieder seine Identität ändern und noch zulegen dürfte – WT94+. Voll auf der Eleganzschiene war der 1970 Chateau Fortia Chateauneuf-du-Pape Tête de Cuvée, der sich bestes als Pirat in jeder hochkarätigen Burgunderprobe gemacht hätte, so fein, so subtil, burgundisch im besten Sinne mit feiner Süße – WT96.

Sehr frühzeitig dekantiert zeigte sich der 1970 Latour von seiner allerbesten Seite. Das war die Kraft und die Herrlichkeit, großartige Struktur, immer noch deutliches Tanningerüst, sehr mineralisch, die leicht bittere, typsche Latour Walnussaromatik, unglaubliche Länge und Potential für sicher 30 weitere Jahre – WT99. Leider leicht oxidiert war der 1971 Latour, der himmelweit von seiner Normalform entfernt war.

Und damit waren wir in Südafrika, wo in den 70ern geniale Weine entstanden mit enormem Alterungspotential, die weit mehr verdient hätten als den damaligen Vertrieb über Supermarktregale. Der 1972 KWV Roodeberg stammt von einer großen Winzergenossenschaft (1918 als Ko-operatiewe Wijnbouwers Vereniging van Zuid-Afrika gegründet), war wohl eine Cuvée mehrerer Rebsorten und zeigte sich ohne Alter mit traumhafter Frucht, Frische, Druck und Länge, dabei geradezu sahnig und superlecker – WT94. Noch etwas drüber und sogar noch mit Zukunft der 1975 Nederburg Private Bin R103 Cabernet Sauvignon – Shiraz von der Nederburg-Auktion. Der zeigte sich wunderbar frisch-fruchtig mit viel Sauerkirsche und etwas Lakritz, am Gaumen enorme Struktur und immer noch präsente Tannine – WT95.

Glück hatte der 1982 Barca-Velha von der Casa Ferreirinha aus dem portugiesischen Douro-Tal. Der leider korkige 1982 Gruaud Larose, der ihn sonst sicher an die Wandgedrückt hätte, überließ ihm in diesem Flight alleine die Bühne. So punktete er mit schöner, rotbeeriger Frucht, Kräutern und Würze, am Gaumen trotz erdiger Mineralität überraschend fein mit generösem Schmelz – WT94.

Überraschung im nächsten Flight, in dem zwei jüngere Boliden aufeinander trafen. Nach der Papierform hätte der 1985 Penfolds Grange hier chancenlos sein müssen. Aus dieser Flasche hier zeigte er sich in einer geradezu atemberaubenden Traumform, in der ich ihn noch nie erlebt habe. So sexy, so offen, so explosiv, so fleischig mit superber, süßer Frucht, mit feinen Kräutern und wohldosierter Opulenz, das war Grange in Bestform – WT99. Bei diesem gewaltigen Auftritt nach Maß war die 100-Punkte-Legende 1985 La Mouline von Guigal auf höchstem Niveau chancenlos. Speckig, rauchig sehr würzig, elegant mit süßem Schmelz – WT97.

Sehr elegant, druckvoll mit schöner Beerenfrucht, viel Kaffee, Schmelz und Schokolade der 1990 l´Evangile, der trotz scheinbarer Reife noch eine lange Zukunft haben dürfte – WT97. Der noch größere Wein in diesem Flight war für mich der überragende 1989 Clinet, der wieder da anknüpft, wo er nach seiner jugendlichen Fruchtphase aufgehört hat. So mancher aus der Wein beschreibenden Zunft, der diesen Wein inzwischen abgeschrieben hatte, versteht anscheinend immer noch nicht, dass gerade große Weine sich zwischendurch für längere Zeit verschließen. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Jetzt zeigte sich dieser Clinet als einfach irres Konzentrat mit reifer, süßer Frucht, opulent mit fruchtigem, süßem Schmelz am Gaumen, hat einfach alles, was man sich von einem großen Pomerol wünscht – WT99.

Und dann hatte der liebe Rainer noch als quasi Tischwein für alle, die den Hals einfach nicht voll kriegen, noch diesen 1991 Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve aus der Imperiale mitgebracht. Der zeigte sich als klassischer Old School Kalifornier mit einem dicken Schuss Bordeaux, minzig, Sattelleder, Zedernholz, ein Hauch Eukalyptus, schöne Länge am Gaumen, absolut stimmig – WT96. Nein, wir haben diesen Wein bei aller Qualität nicht leer bekommen. Aber der Rainer hat das in den Tagen danach zuhause geschafft.