100 Punkte für Latour

Zweimal hatte ich den gigantischen 1920 Latour schon im Glas. Einmal in Paris bei Michel Rostang (WT99) und einmal in einer Best Bottle (WT97). Und jetzt waren endlich die WT100 fällig, bei Elke Dreschers gelungener Pauillac Probe.

Richtig was vorgenommen hat sich die liebe Elke in diesem Jahr mit ihren Proben. Den Anfang machte am letzten Februarwochenende eine feine Pauillac Probe. Da stimmten alle Zutaten. Elke hatte Ihr Haus umgebaut und Platz für zwei große Tafeln geschaffen. Mit Oliver Speh hatte sie einen perfekten Maitre de Bouchon engagiert, und in der Küche zauberte der geniale Stivie. Und die Weine? Fünf prächtige Flights mit jeweils 5 großen Pauillacs.

Elkes große Fangemeinde traf sich zunächst im Hof zum Apero. Das war diesmal kein Champagner, der vor Weinproben ohnehin nur unnötig blau macht. Es waren drei große Weißweine. Weich, reif, elegant und sehr nachhaltig, aber ohne Alterstöne die 1999 Stielweg Spätlese trocken von Künstler – WT92. Ein absoluter Gigant die blutjunge, rassige, sehr mineralische 2004 Hölle Auslese trocken von Künstler, die mit ihrer Brillianz gerade erst zur Hochform aufläuft und deutlich zeigt, wie groß auch dieser Jahrgang 2004 ist, dürfte sehr langlebig sein, diese Hölle – WT96. Und dann kam noch diese unglaubliche Aromenbombe namens 2011 Sauvignon Blanc Zieregg von Tement ins Glas, ein verrückter, faszinierender Wein, der völlig aus der Art und aus der Reihe fällt – WT97. So perfekt eingestimmt konnte die große Probe starten.

Los ging es mit einer gelungenen Baron/Comtesse Mixtur. Der 1990 Pichon Baron fasziniert mich immer wieder. Frühreif war er, ist entsprechend weitgehend schon ausgetrunken. Und doch zeigt er im Gegensatz zu so manchem 90er Bordeaux kein Anzeichen von Müdigkeit. Ganz im Gegenteil, ich meine sogar, dass er an Struktur noch zulegt. Dazu kommt die superbe Frucht, nicht mehr ganz so kalifornisch üppig wie in den Anfangsjahren, erste, feine Süße, eine immer noch unbändige Kraft und tolle Länge, einfach Baron pur mit sicher noch langem Leben – WT96. Noch eine Ecke drüber 2000 Pichon Baron, der vielleicht beste, jemals auf diesem Gut erzeugte Wein. Bei dem stimmte von der Nase über die Frucht bis zum langen Abgang einfach alles. Mächtige, aber reife, runde Tannine garantieren ein langes Leben. Auch diesen Baron kann man jetzt schon mit großem Genuss trinken, aber da kommt noch mehr – WT97+. Den 2003 Pichon Baron hingegen kann man nicht nur schon trinken, den sollte man wie die meisten 2003er auch trinken. Das ist ein üppiger, fülliger Spaß-Baron mit schöner Süße, dem es nur etwas an Struktur und im Abgang mangelt. Er wird zwar nicht mehr zulegen, aber jetzt und in den nächsten 5-10 Jahren einfach viel Freude im Glas bereiten – WT95. Ziemlich daneben leider die 1990 Pichon Comtesse. Die war noch nie etwas und wird auch nichts mehr. Sehr spröder, herber Charme, Cabernet pur mit grünen, unreifen Noten, Paprika statt Trauben – WT86. Sehr gut gelungen dagegen die 2003 Pichon Comtesse, die über die Jahre enorm zugelegt hat. Nicht die Fülle des Barons, aber insgesamt der stimmigere Wein mit besserer Struktur. Und da ist auch das weiche, aromatische des Merlots, das den Charme der Comtesse ausmacht – WT95. Dürfte recht langlebig sein und ist noch jede Suche wert.

Etwas Wehmut kam bei mir mit dem nächsten Flight auf. Ich bin als Weintrinker quasi mit der Comtesse groß geworden. Als in den 80ern meine wilde Weinzeit begann, praktisch zeitgleich und nicht zufällig mit der Eröffnung des Mövenpick Caveau in Düsseldorf, da hatte die Comtesse einfach einen Superlauf. 78, 79 und 81 Comtesse waren für mich damals Traumweine. Mit der hedonistischen 82er Comtesse ging es weiter, dann 83, 85, 86, selbst 87 trank sich in jungen Jahren sehr gut. Es dürfte kein Weingut geben, von dem ich mehr Wein getrunken habe als von „meiner“ Comtesse. Perfekt gereift die 1978 Pichon Comtesse, einer der schönsten Weine aus dem Jahrgang, mit dem Bordeaux aus der finsteren Zeit der mittelmäßigen Weine zurück auf die Überholspur kam. Nur kommt auch diese Comtesse langsam in die Jahre und sollte bald getrunken werden. Immer mehr kräuterige Noten, statt diesem unendlichen Comtesse Schmelz mehr Herbe und mehr Oliven als Trauben. Aber all das ist Jammern auf hohem Niveau. WT93 brachte diese Comtesse immer noch ins Glas. Und in Großflaschen würde ich sie auch immer noch kaufen. „Those were the Days“ dachte ich mir auch bei der 1982 Pichon Comtesse. Das war ein sehr schöner, charmanter, betörender Wein mit feinem Schmelz, aber eben nicht mehr diese einfach geile Hedonismus Oper von früher – WT95. Es gibt zwischendurch immer mal wieder Flaschen, wo die alte Klasse der 1982 Pichon Comtesse noch mal aufblitzt, aber ich habe inzwischen Zweifel, dass diese Comtesse noch mal voll zu alter Klasse zurückkehrt. Schlichtweg atemberaubend und eine Klasse besser als 82 die 1985 Pichon Comtesse, noch so frisch, so elegant, so unglaublich druckvoll am Gaumen, ein betörender, geradezu erotischer Gaumenschmeichler mit Schmelz und Länge ohne Ende – WT97. Hatte ich noch nie so gut im Glas. Ein Achterbahnwein ist die 1986 Pichon Comtesse. Höhen und Tiefen liegen hier dicht beieinander, je nachdem, ob sich gerade Frucht und Schmelz durchsetzen, oder die immer noch deutlichen 86er Tannine. Hier hätten wir wohl wieder in so einer tanninbetonten Sendepause gelegen, wenn nicht ohnehin aus dem Schatten, der über dem Wein lag, ein immer stärkerer Kork geworden wäre. Die 86er Comtesse ist trotzdem für Geduldige immer noch ein guter Kauf. Der bessere Kauf könnte – weil wahrscheinlich deutlich günstiger – die 1988 Pichon Comtesse sein. Das ist ein klassischer 88er mit toller Tanninstruktur, der sich jetzt gerade so langsam aus dieser Tanninhülle rausschält und wohl erst im nächsten Jahrzehnt richtig zeigt, was er drauf hat. Aus dieser Flasche hier wurde schon erster Comtesse Charme und Schmelz riech- und schmeckbar – WT93+.

Und dann das Highlight der Probe, 5 alte, gereifte Latours, alle aus authentischen Flaschen. Da war jetzt Demut angesagt. Fünf große Latours aus längst vergangenen Zeiten, alle auf dem Chateau abgefüllt. Der 99jährige 1916 Latour "wird seinem Alter gerecht", notierte ich erst. Doch erstaunlich, wie dieser Latour mit seiner hellen, sehr reifen Farbe doch noch kam. Entwickelte noch eine erstaunliche Kraft und war mit seiner feiner Marzipansüße immer noch sehr gut trinkbar. Und statt abzubauen baute er sogar im Glas aus -WT91. 1918 Latour aus dem Nicolas Keller zeigt trotz ebenfalls sehr heller, reifer Farbe immer noch pikante Fruchtreste und feine Süße - WT92. Schon der drastische Farbunterschied zeigte, dass der 1920 Latour abgefüllt für R&U ein ganz anderes Kaliber sein würde. Sehr dicht und gut 50 Jahre jünger wirkend die Farbe. Und dann diese Aromatik, schon das Nasenbild war Latour pur, trüffelig, Trockenfrüchte und vor allem dieses für Latour so typische, leicht bittere Walnuß. Am Gaumen noch so präsent, dicht und kräftig, ohne jeden Alterston. Ein Jahrhundertwein, bei dem von der irren Nase bis zum Abgang alles stimmte - WT100. Kaum drunter der geniale, immer noch so präsente 1924 Latour. Auch hier die Farbe enorm dicht und deutlich jünger wirkend. Auch hier noch kraftvoll der Auftritt, legte im Glas immer mehr dazu und entwickelte eine wunderschöne, generöse Süße. Das war hier nicht Walnuss, das war schon eher Walnusslikör, und das aus diesem Jahrgang, einfach der helle Wahnsinn – WT98. Die Walnuss begegnete uns dann auch wieder beim 1926 Latour als Harveys Selection, nur waren die Walnüsse hier schwarz und eingelegt. Durchaus noch sehr kräftig dieser Latour mit generöser, malziger Süße, aber auch leicht oxidativen Noten. Insgesamt war dieser sehr gut trinkbare, immer noch druckvolle 26er deutlich reifer als ich ihn kenne – WT95.

Deutlich jünger aber nicht minder spannend ging es mit 5 Moutons weiter. Einfach ein Gedicht dieser so stimmige 1983 Mouton Rothschild, der statt zu altern einfach immer weiter zulegt. Das war unbestritten ein großer, kompletter Mouton, der aus dieser perfekten Flasche noch so unglaublich jung wirkte – WT96. Damit reiht er sich ein in die großen 83er wie Latour, La Mission oder Cheval Blanc. Und ist natürlich immer noch ein Kauftipp. Schafft es der 1986 Mouton Rothschild, mal der neue 45er zu werden? Aus dieser Flasche hier zeigte er schon verdammt viel. Klar war da Power ohne Ende, die Frucht etwas dunkel und noch in Lauerstellung, sehr mineralisch, Graphit, Sattelleder, wurde immer minziger im Glas, und dann kam der erste Hauch von Eukalyptus , 45 lässt grüßen! – WT97+. Als Monster im Werden zeigte sich mal wieder der 1988 Mouton Rothschild mit seiner tiefen, undurchdringlichen Farbe und dem massiven Tanningerüst. Auch da ist Cassis, Minze, Bleistift, Sattelleder, aber alles noch nicht richtig ausgepackt. Dieses Kraftpaket mit massivem Tannin- und Säuregerüst scheint den 86er an Langlebigkeit noch überbieten zu wollen – WT94+. Zu den besseren Weinen dieses recht schwierigen Jahrgangs gehört der 1994 Mouton Rothschild. Da sind immer noch etwas harsche Tannine und ein stabiles Säuregerüst, aber auch eine sehr schöne Frucht, die die 94er Herbe ausgleicht. Das wird wohl nie ein Riese, aber ein guter, solider Mouton – WT93. Der 2002 Mouton Rothschild erinnerte eher an eine Bergbahn im Frühjahr, „derzeit wegen Revisionsarbeiten geschlossen“. Der so geniale, großartige 2002 Mouton scheint derzeit durch eine verschlossene Phase zu laufen, zumindest war es hier so. Mehr als WT90+ kamen da leider nicht ins Glas. Es soll Flaschen geben, in denen er noch oder sogar schon wieder offen ist. Alles eine Frage der Lagerung. Von meinen Flaschen bleibe ich jetzt erstmal ein paar Jahre weg und behalte diesen Mouton in guter Erinnerung. Wenn er sich dann in 5-10 Jahren wieder öffnet, dürfte das ein ganz großer Mouton werden.

Als letzter Flight kam dann noch fünf mal Grand Puy Lacoste in unsere Gabriel-Gläser. Die GPL´s taten sich natürlich etwas schwer, trafen sie doch auf verdammt verwöhnte Gaumen. Völlig untypisch der 1982 Grand Puy Lacoste, wirkte gezehrt, sperrig und fruchtlos. Einfach eine schlechte Flasche, denn der 82er ist sonst ein immer noch jung wirkender, vibrierender GPL auf WT95-Niveau. Etwas offener kenne ich auch den 1989 Grand Puy Lacoste, der sich an diesem Abend sehr kräftig, tanninbetont und maskulin gab – WT93. Auch 1990 Grand Puy Lacoste sang nicht so richtig und wirkte erstaunlich verschlossen – WT92+. Dafür war 1996 Grand Puy Lacoste, diese moderne Wiedergeburt der großen GPL´s der 80er Jahre mit traumhafter Frucht, reifer Johannisbeere, und getrüffelter Bitterschokolade endlich voll da, ein GPL wie aus dem Bilderbuch – WT95. Last not least dann noch als sehr positive Überraschung der frische, fruchtige, im besten Sinne fröhliche 1999 Grand Puy Lacoste, mineralisch, Zedernholz, gute Säure und wieder diese betörende Johannisbeere – WT93.

Als Abschluss servierte Oliver Speh aus der Magnum noch den mächtigen 1986 Lynch Bages mit tiefer Farbe und immer noch recht massivem Tanningerüst. Die Nase mit der frischen, dunklen Frucht macht deutlich mehr her als der fordernde, tanningeprägte Gaumen. Aber da ist enormer, aromatischer Druck und auch schon eine tolle Länge. Das könnte mal ein Großer werden, dieser 86er Lynch, aber erst, wenn die 85er alle ausgetrunken sind und die 89er/90er zur Neige gehen – WT92+. Also erstmal wieder in die hinterste Kellerecke damit.

Wie schön, dass die liebe Elke immer erfolgreich versucht, sich selbst zu übertreffen. Da freue ich mich schon auf Ende Mai, wenn es den ersten Teil der Jahrgänge 1928 und 1929 gibt, natürlich mit Chateau Latour.