Über 50 Jahrgänge Gruaud Larose

Wenn das kein lohnendes Ziel war. Mit René Gabriel trafen wir uns in Bordeaux, um auf Chateau Gruaud Larose in einer einmaligen Vertikale über 50 Jahrgänge dieses Gutes zu verkosten.

Mit Gruaud Larose verbindet mich eine lange Weinfreundschaft. Als Anfang der 80er meine hemmungslose Weinleidenschaft einsetzte, war Gruaud Larose noch im Besitz des Handelshauses Cordier, zusammen mit den Gütern Talbot, Meney und Lafaurie-Peraguey. Und da Cordier damals so eine Art Mövenpick Hauslieferant war, lernte ich nicht nur den berühmten „Cordier-Stinker“ kennen, an dem man die Rotweine aus dem Hause Cordier schnell erkannte. Ich kam auch in den preiswerten Genuss vieler junger und auch reifer Jahrgänge von Guraud Larose. Zwar ist auch Gruaud Larose ein Deuxième Cru Classé, doch lagen sein Ruf und vor allem sein Preis meist deutlich hinter anderen Deuxièmes wie Cos, Leoville las Cases oder Pichon Comtesse.

Gruaud Larose war 1725 von Joseph Stanislas Gruaud unter dem Namen Fond-Bedeau gegründet worden. 1778 ging ein Teil dieses Gutes an einen Joseph Sebastian de La Rose, der das Gut in Gruaud-La Rose umbenannte. Unter diesem Namen wurde Gruaud dann 1855 als Deuxième Cru Classé klassifiziert. 1867 folgte im Rahmen von Vererbung die Aufteilung des Gutes in Gruaud Larose Sarget und in Gruaud Larose Faure. Da es aber immer nur ein physisches Chateau gab, dürften auch die Weine beider Teile zusammen produziert worden sein. Erst nachdem Cordier 1917 den Sarget-Teil und später 1935 den Faure-Teil gekauft hatte, wurde das Gut wieder vereint. Heute ist Gruaud nach mehrfachem, weiteren Besitzerwechsel (1983 Compagnie de Suez und 1993 Alcathel-Alstholm) seit 1997 im Besitz der Groupe Taillan.

Der erste Teil der Gruaud Probe fand im Restaurant des Traitteur Demund statt. Dort genossen wir erst einmal draußen um Apero die Abendsonne. Ach ja, dieser Apero. Selten habe ich von einem Wein soviel in die Blumen und sowenig den Gaumen runterlaufen gesehen. Ein fürchterliches, saures Gesöff war dieser 2013 Clos des Lunes Lune d´Argent aus dem Hause Domaine de Chevalier. Ich habe mir Namen und Etikett gut eingeprägt, damit ich nie aus Versehen den mal irgendwo bestelle.

Mit den ältesten Weinen starteten wir in den ersten Teil der Probe. Ältere Weine können eine große Faszination ausüben, die weit über mögliche Punktzahlen hinausgeht. Aber man muss sie natürlich mögen. Ich habe volles Verständnis für all diejenigen, für die Wein aus Frucht, jugendlichem Schmelz und Tanninen besteht (das muss ich auch, sonst wäre ich schon längst geschieden). Und natürlich müssen ältere Weine in gutem Zustand sein. Mindestens so wichtig wie Füllstand und Farbe ist dabei eine einwandfreie Herkunft. Wie bei einem guten Gebrauchtwagen gilt, je geringer die Anzahl der Vorbesitzer, desto besser. Ein reiner Biowein aus zarter Frauenhand dürfte der 1917 Gruaud Larose (Faure) in einer Bethmann-Abfüllung gewesen sein. Arbeitskräfte gab es in diesem harten Kriegsjahr praktisch keine, Spritzmittel ohnehin nicht und wahrscheinlich auch keine neuen Fässer. Wenn dann solch ein fast hundertjähriger Weinsenior noch gut trinkbar ist, dann hat das was. Die Farbe ein helles, aber klares Braun, die zu Anfang leicht staubig-morbide Nase wird mit Luft besser, am Gaumen erstaunliche Süße gepaart mit guter, tragender Säure – WT86. Und das aus einer Flasche mit Füllstand Low Shoulder! Nicht besser war der Füllstand des 1920 Gruaud Larose (Sarget) aus einem sehr guten Bordeaux-Jahrgang, der zu Unrecht im Schatten von 1921 steht. Erstaunlich kräftige Farbe, immer noch gute Statur, immer noch viel Substanz und sogar noch spürbare Resttannine – WT87. Nix los dagegen mit 1923 Gruaud Larose in einer de Luze Abfüllung, leicht faulig in der Nase, wie altes, feuchtes Herbstlaub, mager und gezehrt am Gaumen – WT75. Nicht viel besser der 1924 Gruaud Larose Sarget in einer Calvet-Abfüllung, der am Gaumen säuerlich und kurz war. Irritierend der deutliche Lakritzton in der Nase – WT78. Ob hier versucht wurde, wie im Jahrhundert davor durchaus üblich, mit Rhone-Wein nachzubessern? Deutlich mehr hätte ich mir von 1929 Gruaud Larose (Faure) aus diesem großen Bordeaux-Jahrgang versprochen. Aber dafür hätte in der Nase mehr als abgestandene Bratensoße rüberkommen müssen. Am Gaumen war dieser Gruaud deutlich gefälliger mit einem Hauch generöser Süße – WT85. 1943 Gruaud Larose aus dem eigentlich besten aller Kriegsjahrgänge wirkte in Nase und Gaumen einfach nur flach und nichtssagend, dazu noch metallisch – WT79.

Um an 1968 Gruaud Larose gefallen zu finden, musste man schon in diesem Jahrgang geboren sein. Anstrengend die leicht modrige Nase, am Gaumen eher auf der sauren Seite – WT76. Noch sehr kräftig und muskulös mit gutem Säuregerüst war der ledrige 1970 Gruaud Larose, aber leider auch absolut charmefrei, ein sicher noch langlebiger Wein, den man tunlichst nur als Speisebegleiter einsetzt – WT87. Seine besten Zeiten hatte 1971 Gruaud Larose lange hinter sich, der insgesamt weicher und zugänglicher als 70 wirkte, aber auch harmloser. Das war sicher mal ein aromatischer Schmeichler, der aus einer Doppelmagnum oder größer durchaus noch für eine Überraschung sorgen könnte – WT82. Verdammt anstrengend der immer noch von kräftiger Säure und harschen Resttanninen geprägte 1975 Gruaud Larose – WT85. Da wirkte in diesem Arbeitsflight der 1978 Gruaud Larose richtiggehend wie eine Wohltat, ein kräftiger, Cabernet-betonter Wein, ledrig, Zedernholz, erdige Mineralität, die leicht grünen Noten gut verpackt, immer noch schöner, aromatischer Druck – WT90. Noch eine Stufe drüber der 1967 Gruaud Larose aus der Doppelmagnum, der deutlich zeigte, was man unter „Großflaschenbonus“ verstehen darf. Erstaunlich lebendig mit wunderbar generöser, ledriger Nase, auch am Gaumen gefällig mit nur leicht metallischen Noten, reif zwar, aber ohne Alter – WT91.

Sehr fein und elegant war der noch recht jung wirkende 1949 Gruaud Larose in einer Cordier-Abfüllung, den ich zwar schon um einiges besser, aber auch deutlich schlechter getrunken habe – WT94. Also Glück gehabt, denn nach meinen Erfahrungen ist der schon häufiger getrunkene 49er ein Wein mit hohen Flaschenvariationen. Etwas eckig und rustikal mit deutlicher Säure zeigte sich der 1950 Gruaud Larose in einer Lestapis-Abfüllung, den ich schon deutlich besser im Glas hatte – WT89. Schlichtweg ein Traum und der schönste Wein dieses ersten Abends war 1952 Gruaud Larose. Schon die leicht portige Nase mit viel Kaffee machte an, am Gaumen dann sehr balanciert, aber auch mit enormem, aromatischem Druck und sehr guter Länge – WT96. Süßlich und fein die Nase des 1957 Gruaud Larose mit rotbeeriger Frucht, der Gaumen kam da leider nicht mit – WT83. Auch beim 1958 Gruaud Larose war die Nase ganz ok, am Gaumen war dieser Wein aber hin – WT78. Beim 1976 Gruaud Larose aus der Doppelmagnum half nicht mal der Großflaschenbonus. In der Nase altes Fass, leicht faulig wirkend, wurde immer schlimmer und wurde auch am Gaumen immer grenzwertigwer. Da verzichte ich auf eine Bewertung.

Durchaus trinkbar war 1980 Gruaud Larose noch, aber er wirkte auch etwas schmalbrüstig mit grünen Resttanninen – WT84. Ein Gedicht aber wieder diese stimmige, praktisch altersfreie 1981 Gruaud Larose mit feiner Johannisbeere, Zedernholz, Leder und guter Struktur – WT92. Ist nach wie vor jede Suche wert und dürfte sich noch länger auf diesem Niveau halten. In der Liga liegt eigentlich auch der gut gelungene 1983 Gruaud Larose, den ich schon mehrfach überzeugend im Glas hatte. Nur diese Flasche hier hatte leider einen Treffer. Schade. Einen richtigen Lauf hatte Gruaud Larose in den 80ern. Das zeigte sich auch bei diesem herrlichen 1985 Gruaud Larose, einem perfekt balanciertem, zeitlosem Traum mit schöner Frucht, feinem Schmelz, einfach sehr guter, reifer Cabernet – WT94. Immer noch jede Suche und jede Sünde wert. Ausgerechnet bei dem tranken alle am Tisch ihre Gläser leer, so ein Mist. Ein blutjunges Weinbaby dann der trotz aller Tannine faszinierende 1986 Gruaud Larose, der sich trotz drei halber Flaschen und langer Dekantierzeit nicht voll öffnete. Ein Riese im werden, der sicher noch 10-15 Jahre braucht, um alles zu zeigen, was er drauf hat – WT96+. Nach all dem alten Plunder dieses Abends war das ein richtiger Schock für den Gaumen. Geduld erfordert sicher auch der stramme, immer noch Tanningeprägte 1988 Gruaud Larose, noch dazu wie hier aus der Magnum. Das ist ein Langstreckenläufer mit gewaltigem Potential für Geduldige – WT90+.

Früh aufstehen hieß es am nächsten Tag. Mit dem Bus ging es zunächst quer durchs Medoc zu Chateau Gruaud Larose. Dort konnten wir nicht nur Chai und Weinberge besichtigen, sondern auch die aktuelle Produktion testen. Gefällig und durchaus ansprechend die feinfruchtige, florale Nase des 2013 Sarget de Gruaud Larose, des Zweitweins von Gutes. Am Gaumen kernig, bitter mit (zu) hoher, spitzer Säure. Nicht mein Ding. Deutlich fülliger in der Nase mit mehr Druck und Tiefe, auch am Gaumen, der sehr gut gelungene 2013 Gruaud Larose. Das gelang eben nur mit sehr strenger Selektion. Dieser Gruaud könnte durchaus mal in meinem Keller landen. Aber nicht per Subskription, denn bei den 2013ern sehe ich kein Wertsteigerungspotential.

Nett und gefällig präsentierte sich der 2007 Sarget de Gruaud Larose – WT85. Noch viel zu jung war 2004 Gruaud Larose, ein klassischer, kerniger Gruaud, der bei entsprechender Geduld noch für so manche Überraschung gut sein könnte – WT88+.

Auf der Rückfahrt mit dem Boot von Pauillac Richtung Bordeaux kam mit 1997 Gruaud Larose aus der handlichen 12 Liter Flasche ein weiterer Gruaud Larose ins Glas. Viele 97er haben längst das Zeitliche gesegnet. Zumindest aus dieser Monsterflasche erwies sich der Gruaud immer noch als recht vital, wenn auch nicht groß. Doch er brauchte sogar Luft. Ziemlich nasenfrei und in solider, unaufregender Supermarkt Qualität kam er ins Glas. Doch mit Zeit und Luft legte er enorm zu. Bei den letzten Gläsern zeigte er deutlich mehr mit dunkelbeeriger Frucht und guter Statur – WT88. Neben dran ein noch heftigeres Geschoß, 1999 La Gomerie aus der 15 Liter Flasche. Sehr kräftig mit immer noch erstaunlichen Muskeln. Erwartet hätte ich ein üppiges, marmeladiges Schokoladenmonster, aber der La Gomerie zeigte sich erstaunlich verhalten mit dicht gewobener, dunkler Frucht und gewaltiger Statur, aber er sang nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Das lag vielleicht daran, dass wir zwar den Gruaud schaffte, hier aber trotz prächtiger Stimmung nur bis zur Flaschenmitte kamen. Die zweite Hälfte wäre mit Sicherheit besser als WT89 gewesen.

Der Samstagabend stand dann im Rahmen eines festlichen Gala Diners auf Chateau Gruaud Larose. Hier verkosteten wir 26 weitere Jahrgänge. Und wer René Gabriel kennt, wusste natürlich, dass er sich die echten Raketen für diesen Abend aufgehoben hatte.

Doch los ging es erstmal mit einem Rohrkrepierer. Beim 1934 Gruaud Larose (Faure- Bethmann) hatte es sich wohl während der Fahrt nach Bordeaux der Korken in der Flasche gemütlich gemacht und ein Vollbad genommen. Bei 100% intakter Kapsel kann das schon mal eine Weile gut gehen. Hier erhielten wir aber leider nur eine geniale Essig-/Liebstöckelmischung. Wenigstens trinkbar war der 1936 Gruaud Larose, der mit einer recht gefälligen, weichen Nase mit viel Lebkuchengewürz punkten konnte, am säurebetonten Gaumen war er weniger schön – WT84. Ziemlich mager und säurelastig mit etwas Klebstoff zeigte sich auch 1937 Gruaud Larose – WT82. Schon recht grenzwertig, säurebetont und mit deutlich mehr Klebstoff 1938 Gruaud Larose – WT78. Voll intakt war 1947 Gruaud Larose, den ich deutlich fülliger und süßer kenne. So war das denn eher ein trockener Port, der auch am Gaumen nicht mehr viel Substanz zeigte – WT90. Doch der geniale 1955 Gruaud Larose ließ alle anderen Weine dieses Flights schnell vergessen. Ein wunderschön runder, absolut stimmiger Gruaud mit rotbeeriger Frucht, feiner Kräuterwürze, schönem Schmelz und gutem Säure- und Tanningerüst für eine längere Zukunft – WT95. Dazu gesellte sich dann aus der Doppelmagnum noch der erste Tischwein, ein 1966 Gruaud Larose. Der war rustikal, kräftig, kernig, aber auch mit schöner Frucht, nur dezent grüner Note und am Gaumen mit guter Länge - WT92.

In großartiger Form zeigte sich 1959 Gruaud Larose, der aus dieser Flasche voll da war ohne das markante 59typische Säuregerüst, mit viel Schmelz und generöser Süße, sehr druckvoll und lang am Gaumen – WT97. Dafür enttäuschte leider auf hohem Niveau 1961 Gruaud Larose, den ich deutlich besser kenne. Der hatte zwar viel Druck und unbestreitbare Klasse, aber 61 Gruaud geht deutlich besser. Baute im Glas mit der Zeit sogar ab – WT92. Sicher nicht die beste Flasche, obwohl der Füllsttand mit ‚hs’ dem des 59ers entsprach und für einen 50 Jahre alten Wein nicht ungewöhnlich ist. Sehr positiv überrascht hat mich der ausgesprochen jugendliche 1990 Gruaud Larose. Enorm kräftig mit sehr guter Struktur und stabilem Tanningerüst scheint dieser körperreiche Wein auf eine zweite, langfristige Karriere zuzusteuern – WT93+. Da werde ich sicher noch mal auf die Suche gehen. Weniger überzeugen konnte mich 1993 Gruaud Larose. Schon diese ungeneröse, grünlich wirkende 93er Nase mit viel grüner Paprika, nein, das machte nicht an. Auch am Gaumen war dieser Gruaud nicht gerade der Ober-Charmeur – WT86. Wie die meisten 93er hätte dieser Gruaud schon vor langen Jahren in der jugendlichen Fruchtphase getrunken gehört. 1994 Gruaud Larose wird auch als „Evergreen“ bezeichnet, was in diesem Fall sicher nicht schmeichelhaft gemeint ist. Ein immer noch kräftiger, robuster, jung wirkender Wein, ebenfalls weitgehend charmefrei – WT88. Wird sich auf diesem Niveau noch länger halten, eignet sich aber weniger als Kaminschmeichler. Da gehört herzhafte, kräftige Küche dazu. 1995 Gruaud Larose mit noch junger Farbe und viel Substanz wäre sicher eine Klasse über 93 und 94 gewesen, entzog sich aber leider durch Kork einer Bewertung.

Es gehört viel Mut dazu, solche Vertikalproben eines Chateaus zu organisieren. Die Zahl der eher mittelprächtigen und schlechten Jahrgänge überwiegt nun mal in Bordeaux. Das mag sich in jüngster Zeit mit der Weiterentwicklung der Kellertechnik etwas relativieren. Aber selbst mit aller Technik lässt sich aus 2013 kein 2009er machen. Wer das nicht will, egal ob als Gast oder Gastgeber, und einfach nur volle Glückseligkeit in jedem Glas anstrebt, der sollte auf große Vertikalproben verzichten. Ich selbst schätze solche Proben, nicht nur, weil sie einen guten Überblick über die Entwicklung eines Chateaus und der einzelnen Jahrgänge geben. Nur so lassen sich auch Entdeckungen machen aus scheinbar schlechteren Jahren. Und die wahren Highlights, die stechen erst richtig hervor.

Und damit komme ich zum Highlight nicht nur dieses Abends, sondern der gesamten Probe. Ein einmaliger Flight großer Gruauds aus großartigen Magnums, wie er in dieser Form so leicht nicht zu wiederholen ist. In nicht nur optisch (bottom neck!!!) perfektem Zustand präsentierte sich 1928 Gruaud Larose. Immer noch enorm kräftig, aber die harten 28er Tannine, die diesen Wein über Jahrzehnte quasi untrinkbar machten, sind weitgehend abgeschmolzen. Das ist kein Schmuse-Gruaud, aber ein charakterstarker Weinriese, enorm druckvoll mit gewaltigem Tiefgang und enormer Länge, ein Erlebnis, das lange haften bleibt – WT97. Ich muss dabei immer an den Jahrgang denken. Stellen Sie sich einfach vor, Sie sind in den Goldenen 20ern zu Geld gekommen und haben sich, damals 50 Jahre alt, mit 1928 Gruaud eingedeckt. Bei Ihrem Ableben 30 Jahre später war dieser Wein immer noch untrinkbar. Auch ihre Erben hatten keinen Spaß daran. Erst für die Enkel begann der Gruaud, sich zu öffnen und die Urenkel(!) freuen sich heute über den weisen Einkauf des Urgroßvaters. Im Glas neben dem 28er eine weitere Legende, ebenfalls in Bestzustand, 1945 Gruaud Larose. Ein Jahrhundertjahrgang in Bordeaux und ein Jahrhundertwein für Gruaud. Nach frühem Austrieb gab es am 1. Mai in Bordeaux Schnee und am Tag darauf kräftigen Frost. So wurde auf natürliche Art und Weise die Erntemenge reduziert. Ein prächtiger Sommer und perfekte Bedingungen zur Erntezeit führten dann zu konzentrierten, kräftigen Weinen mit gewaltigem Alterungspotential. Und solch ein Prachtexemplar hatten wir jetzt mit dem 45er Gruaud vor uns. Einfach die Essenz von Cabernet, kernig, kräftig, sehr komplex mit ungeheurem, aromatischem Druck und irrer Länge am Gaumen, dabei sehr finessig mit seidiger Eleganz, ein Monument – WT98. Zwei solch legendäre Weine in perfektem Zustand aus Magnums trinken zu dürfen, das sind einzigartige Erlebnisse im Leben eines Weintrinkers, für die die weiteste Reise lohnt.

Weit mehr als nur ein „Kontrastmittel“ war 1962 Gruaud Larose. Klar konnte der seine Reife nicht verbergen. Aber er war immer noch sehr kräftig mit guter Statur, in der Nase ein deutlicher Cordier-Stinker mit etwas Minze und Eukalyptus – WT93. Wie derzeit viele 89er wirkte auch der 1989 Gruaud Larose aus dieser perfekten Magnum noch sehr jung und verschlossen. Dürfte sich aber in ein paar Jahren öffnen und hat dann Potential für deutlich mehr als die heutigen WT92+ und eine lange Zukunft. Deutliches Potential hat auch der derzeit etwas verschlossene 2001 Gruaud Larose, ein kräftiger Wein mit massivem Tanningerüst – WT92+.

Und dann war da noch in einer ebenfalls perfekten Magnum ein Wein, der das Potential dazu hat, als größter Gruaud aller Zeiten in die Geschichte einzugehen, 1982 Gruaud Larose. Zeigte sich bissig, sogar etwas widerborstig, als wollte er sich gegen das Trinken wehren. Aber man spürte das Mörderpotential dieses großen Weines, der auf dem Weg zur Legende ist – WT95+. Weit über 50mal dürfte ich diesen Wein inzwischen im Glas gehabt haben, je nach Lagerung mehr oder weniger offen. Die eindrücklichste Flasche 2011 eine Doppelmagnum (Danke, Gregor) auf WT98 Niveau. Meine eigenen Flaschen habe ich weit hinten im Keller versteckt. Aus guter Lagerung wird sich dieser Gruaud erst in 5-10 Jahren voll offenbaren und sicher 2-3 weitere Jahrzehnte weiter ein absolutes 1er Cru Top Niveau zu immer noch sehr gutem Preis-/Leistungsverhältnis bieten. Soll ich jetzt eine Kaufempfehlung abgeben? Dann bieten wir auf der nächsten Auktion gegeneinander.

Von den Überraschungen habe ich vorhin gesprochen, die einem entgehen, wenn man mit tiefem Portemonnaie nur die vermeintlichen Top-Jahrgänge trinkt. Eine solche Überraschung war der zweite Tischwein, 1979 Gruaud Larose aus der Imperiale. Setzte aus diesem großen Format von Jugend und Frische her auf eine vor wenigen Wochen mit Toni Askitis im D´Vine getrunkende DM noch leicht eins drauf und wirkte fast noch zu jung. Ein großer Gruaud mit betörender Frucht, mit viel Leder, Tabak und Zedernholz, dem eine dezent grüne Cabernetnote eine gewisse Kernigkeit verlieh. Sehr elegant mit druckvoller Aromatik , schöner Fülle am Gaumen und langem Abgang. Da bekommt das Wort Tischwein eine völlig neue Dimension – WT94+.

Sechs jüngere Gruauds waren jetzt noch angesagt. Warten ist immer noch beim dichten, konzentrierten 1996 Gruaud Larose angesagt, der erst in einigen Jahren richtig zeigen dürfte, was er drauf hat – WT92+. Schon erstaunlich reif und offen zeigte sich der charmante 1998 Gruaud Larose – WT90. Im direkten Vergleich gefiel mir der süßere, hedonistischere und gefälligere 1999 Gruaud Larose besser, auch der voll und mit viel Genuss trinkbar – WT91. Hat der 2000 Gruaud Larose das Zeug zur nächsten Gruaud-Legende? Täuscht Zugänglichkeit vor mit schöner Röstaromatik und wunderbarer Frucht, aber die Reise ist hier noch lange nicht zu Ende. Hat sehr viel Kraft und Substanz mit massiven, aber reifen Tanninen – WT95+. Für mich immer noch einer der schlauesten Käufe aus dem großen Bordeaux-Jahrgang 2000. Jung, bissig und kräftig mit etwas astringierenden Tanninen der 2002 Gruaud Larose, dem ich aber keine allzu große Zukunft gebe – WT91. Habe ich den 2003 Gruaud Larose unterschätzt? Mit dem konnte ich mich nie richtig anfreunden. Doch hier zeigte er zum ersten Mal neben Süße und Zugänglichkeit, neben einem Hauch Kalifornien auch eine erstaunliche Struktur und Potential – WT93+. Den werde ich im Auge behalten.

Wie kommt man eigentlich nach Bordeaux und wenn man dort ist, auf die entsprechenden Güter? Natürlich kann man die je nach Standort 1000-1500km mit dem Auto fahren. Das halte ich aus vielerlei Gründen für kompletten Unfug. Wein kaufen in Bordeaux lohnt nicht. Die Preise auf den Chateaus liegen in der Regel deutlich höher als das, was man hier bei uns im Handel bezahlt. Und Wein trinken in Bordeaux macht nur Sinn, wenn man nicht fahren muss. Also fliegen. Aus der Schweiz und aus dem Süddeutschen Raum bieten sich da preiswerte Nonstop-Flüge ab Basel und Straßburg. Sonst bleibt nur der Weg mit KLM über Amsterdam (empfehlenswert) oder mit Air France über Paris. Bei letzterem bitte unbedingt darauf achten, dass beide Flüge über Charles De Gaulle gehen. Sonst droht noch eine lange Busfahrt rund um Paris zwischen CDG und Orly mit der guten Chance, den Anschlussflug zu verpassen.

Die namhaften Chateaus (für die anderen muss man nicht darunter fahren) öffnen ihre Tore nur für angemeldete Gäste. Wer hier nicht über entsprechende Kontakte verfügt, sollte lieber eine organisierte Reise in einer Gruppe buchen. René Gabriel zum Beispiel betreut jedes Jahr persönlich mehrere Reisen der Schweizer Academie du Vin. Die sind nicht nur perfekt organisiert, mit René hat man einen begnadeten Degustator und ein wandelndes Bordeaux-Lexikon mit an Bord, und für den guten René öffnet sich in Bordeaux jede Tür.